13.10.2012 - Quelle: Passauer Neue Presse
Standbeine müssen auch laufen können
Interview mit Projektbegleiter Andreas Dittlmann zur Neustrukturierung der Nationalparkregion
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Neuschönau. Der Tourismus im der Nationalparkregion soll neu strukturiert werden. Am 16.Oktober findet in Zwiesel eine Expertentagung statt, ehe am 25.Oktober in Spiegelau dann die Ergebnisse in großem Rahmen vorgestellt werden. "Wohin geht die Reise?", wollte der Grafenauer Anzeiger von Andreas Dittlmann, vom Projekt begleitenden Büro Dittlmann & Partner aus Waldkirchen wissen.
Der Tourismus in der Nationalparkregion soll neu strukturiert werden. Was ist der Grund?
Mit der Marketingoffensive Bayerischer Wald wurde bereits ein Umstrukturierungsprozess gestartet, der zu einer positiven Entwicklung in der übergeordneten Gesamtdestination geführt hat. Bis 2009 sind die Übernachtungszahlen zurück gegangen. 2010 waren sie stabil und 2011 verzeichnete der Bayerische Wald mit drei Prozent den ersten Anstieg dieser Zahl seit dem Jahr 2000. Ein weiterer Anstieg ist dann erreichbar, wenn auch in den Teilregionen entsprechende Anstrengungen unternommen werden.
Vergleicht man die Übernachtungszahlen der Nationalparkgemeinden, wird dieser Handlungsbedarf sehr deutlich: 2011 wurden knapp über eine Million Übernachtungen gezählt. 2006 waren es noch 1,2 Mio. Da sollten wir uns nicht von dem Anstieg im Jahr 2011 blenden lassen. Um diesen Positivtrend zu verstetigen, ist sehr viel Arbeit nötig.
Welchen Ausweg gibt es aus dem Dilemma? Woran hapert es?
Die Region muss sich als gemeinsames Unternehmen sehen. Darin liegt der Ausweg. In jedem Unternehmen müssen drei Dinge optimal zusammenpassen: Das Wichtigste sind die Produkte und Angebote für die Kunden. Für Kunden, die wir haben wollen. Dann eine funktionale Vermarktung dieser und drittens eine hohe Qualität im Service. Das Zusammenspiel muss gut organisiert sein.
Mit der konsequenten Umsetzung der Markenstrategie "Bayerischer Wald" wurde bereits eine wichtige Weichenstellung vorgenommen. Aber was soll der Tourismusverband vermarkten, wenn es zu wenig attraktive und zielgruppenorientiert entwickelte Erlebnisangebote gibt? Es muss gelingen, dass solche marktfähigen Angebote (wie z.B. der Anziehungspunkt Baumwipfelpfad) immer wieder weiterentwickelt werden können und neue entstehen.
Wie kann die Schaffung einer Identität stiftenden Marke aussehen? Welche schweben Ihnen vor?
An der Dachmarke Bayerischer Wald wird im Rahmen des Projektes nichts gerüttelt und auch keine Konkurrenz-Marke aufgebaut – möglich ist aber ohne Zweifel eine Submarke – wenn das als Teilergebnis des Projektes von den Mitwirkenden so gewollt ist.
Der Nationalpark gibt ein wunderbares Rahmenthema für die Region vor: die einzigartigen Naturerlebnisse, die anderswo so nicht gefunden werden können. Mit dem Baumwipfelpfad, den Wildniswanderungen und vereinzelten Arrangements zum Beispiel für Mountainbiker sind auch schon gute Ansätze vorhanden, den Gast in den Bann zu ziehen. Spannend wird’s, wenn sich diese Angebote auch vernetzen und die Betten der Betriebe füllen. Dafür braucht es eine Gesamtstrategie, die wir in den nächsten Monaten gemeinsam mit allen Partnern entwickeln werden. Dem zu Grunde liegt die Erkenntnis, dass eine wahrgenommene Identität immer vom Blickwinkel abhängt: Der Gast identifiziert innerhalb der Marke Bayerischer Wald die Nationalparkregion schon heute ganz von selbst als Submarke. Auch wenn er aktuell noch viele Fragezeichen dahinter setzt. Die eigenen Betriebe und Orte der Region tun sich da noch um einiges schwerer.
Die Nationalparkregion kann damit Vorreiter für andere Teilregionen des Bayerischen Waldes werden. Der Arber, das Ilzer Land oder das Donautal können ja ähnliche Erlebniswelten schaffen.
Zuvorderst braucht es aber eine gute Organisation. Und die aktuelle Struktur spricht nicht dafür, die geeigneten Rahmenbedingungen dafür vorzuhalten.
Der Tourismus ist eines der wichtigsten Standbeine unserer Region. Wo hakt es?
Dass Standbeine nicht automatisch auch laufen können! Standbeine, also Beine, die nur stehen, tun sich schwer, wenn sie vom Lusen übern Rachel zum Falkenstein rüber wollen. So wie das die Gäste tun.
Dabei fehlt es aber keinesfalls an der Bereitschaft. Wir haben uns die Arbeit der Touristiker und Betriebe in den Orten genau angeschaut. Bemerkenswert ist, dass alle die Prioritäten ihres täglichen Tuns anders setzen würden − wenn sie könnten. Der Alltag holt sie ein und kein Einziger kommt dazu, sich zum Beispiel regelmäßig um verkaufbare Produktangebote Gedanken zu machen.
Die Region kann sich dieses Nebeneinander angesichts der touristischen Marktentwicklung aber nicht auf Dauer leisten. Die prioritär wichtigen Aufgaben müssen dringend angepackt werden. Hierfür sollten die zur Verfügung stehenden Mittel, finanziell wie personell, so effizient wie möglich eingesetzt werden.
Minister Brunner präferiert ja eine Zusammenlegung der Zweckverbände Zwieseler Winkel und Zweckverband Nationalparkgemeinden: Was halten Sie von der Idee. Ist sie machbar? Und wenn ja, wo liegen die Vorteile?
Der Sinn von Zweckverbänden steckt ja schon im Wort: Sie sind ein Zweck bezogener Zusammenschluss. Wenn wir den Zweck der beiden angesprochenen Verbände vergleichen, gibt es schon eine hohe Deckungsgleichung. Deshalb werden wir auch dieses Thema auf den Prüfstand stellen. Gäste sehen die Landkreisgrenzen ohnehin nicht. Wie eine neue Struktur aussehen kann, ist vor allem davon abhängig, welche Ziele verfolgt werden. Und darüber müssen sich die Mitgliedsgemeinden, aber auch die Betriebe der Nationalparkregion ernsthaft unterhalten.
Es macht sicherlich Sinn, nicht sofort eine nächste Rechtsform zu suchen, in eine neue Organisation zu schlüpfen und sich für die Ewigkeit sicher zu fühlen. Eine passende Struktur kann auch komplex sein und sich in zwei Jahren nochmal weiterentwickeln. Das müssen Gäste ja auch nicht kommuniziert bekommen. Wichtig dabei ist: Das Bild nach Außen muss ein klar erkennbares Profil wiedergeben.
Gehen wir einen Schritt weiter. Lassen Sie uns Visionen entwickeln. Landrat Adam hat schon des öfteren angedeutet, den Tourismus − die Vermarktung − am Landratsamt zentralisieren zu wollen. Ist die Zeit dafür schon reif?
So wie mir Landrat Adam seine Pläne geschildert hat, ist es nicht seine Absicht, den Tourismus im Landratsamt zu zentralisieren. Im Gegenteil: Seine Vision ist eine deregulierte, innovationsfördernde Institution an der Schnittstelle zwischen Tourismus und Wirtschaft. Orte, sowie verschiedene Betriebe, sollen an einer solchen Firma beteiligt werden. Er hat, wie auch sein Kollege Lankl, einen professionellen Zugang zur Tourismusarbeit und sieht die touristischen Aufgaben durchaus differenziert. Demnach ist die Frage zu klären, welche Aufgaben letztendlich in welcher Organisationseinheit am Sinnvollsten erledigt werden können. Beide Landräte sehen es positiv, dass sich thematische Angebotseinheiten bilden. Die Nationalparkregion ist eine solche Einheit und kann sich im Portfolio neben einem Arberland durchaus mit eigenen Angeboten profilieren.
Sollte das umgesetzt werden, heißt es dann nicht klotzen statt kleckern? Will heißen, man braucht das nötige Personal − sowohl quantitativ als auch qualitativ?
Für professionelle Tourismusarbeit braucht es wie in jedem Unternehmen auch unterschiedliche Spezialisten. Manche braucht man täglich. Manche nur ab und zu. Es hängt eben davon ab, welche Ziele erreicht werden sollen. Insgesamt stehen in der Nationalparkregion über 50 Personen für die touristische Arbeit zur Verfügung. Innerhalb einer koordiniert arbeitenden Gesamtstruktur lässt sich damit schon was bewegen.
Noch einen Schritt weiter: Glauben Sie dass irgendwann die beiden Landkreise FRG und REG touristisch gemeinsam unter einer gemeinsamen Dachmarke arbeiten?Das tun sie bereits! Touristische Dachmarke ist nämlich der Bayerische Wald. Und das ist auch sinnvoll. Den Gast interessieren Landkreisgrenzen einen feuchten Kehricht. Was fehlt, sind touristische, thematisch orientiert gestaltete Destinationen. In einer gemeinsamen Nationalparkregion kann eine solche Themendestination gestaltet werden. Damit lassen sich neue Gäste ansprechen und Stammgäste binden. Hierzu sind unter anderem noch folgende Fragen zu beantworten: Wo beginnt die Nationalparkregion, wo hört sie auf? Was ist typisch Nationalpark, was ist tabu? Schneeschuhwandern oder auch Downhill-Fahren?
Andere Regionen haben sich bereits neu aufgestellt. Am 16. Oktober haben wir Vertreter aus drei solcher Tourismusgebiete eingeladen, um von ihren Erfahrungen zu berichten: Der Hochschwarzwald, das Tegernseer Tal sowie Innsbruck ( Tourismus in Tirol) erzählen über ihre jeweilige Entwicklung. Eine Woche später, am 25. Oktober, sind in Spiegelau die Vertreter aus den Gemeinderäten, die Ortstouristiker, Betriebe und Verbände eingeladen, eigene Ziele zu formulieren. Damit wird die Basis gelegt für die Erarbeitung von drei Modelllösungen, wovon eine im Verlauf der nächsten Monate realisiert werden wird.
Das Interview führte Andreas Nigl.